Wilhelm Martin Leberecht de Wette (1780–1849) war einer der letzten theologischen Universalgelehrten und einer der produktivsten theologischen Autoren des 19. Jahrhunderts. Seine 52 Bücher (davon manche in mehreren neu bearbeiteten Auflagen), 66 Artikel und Aufsätze und 95 Rezensionen erstrecken sich über das gesamte Gebiet der Theologie, d.h. alt- und neutestamentliche Wissenschaft, Biblische Archäologie, Kirchen- und Theologiegeschichte, Dogmatik, Ethik und Praktische Theologie, umfassen zwei Bildungsromane und ein Schauspiel sowie zahlreiche Predigten und Stellungnahmen zu gesellschaftlichen und wissenschaftspolitischen Fragen.
Nach der Promotion in Jena und Professuren in Heidelberg und Berlin wirkte de Wette von 1822 bis zu seinem Tode im Jahre 1849 als Professor an der Universität Basel, deren Rektor er fünfmal war (1823, 1829, 1834, 1835, 1849). In der Krise, die schliesslich zur Kantonsteilung führte (1833), setzte er sich erfolgreich für die von der Aufhebung gefährdete Universität ein und war an ihrer Reorganisation massgeblich beteiligt. De Wette zählt zu den bedeutendsten Gestalten der Universität Basel.
W.M.L. de Wette war von Johann Gottfried Herder (1744–1803) und Jakob Friedrich Fries (1773–1843) geprägt und befreundet mit Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768–1834). Als historisch-kritischer Bibelwissenschaftler wirkte er ebenso wie als Systematiker, Prediger und religiöser Schriftsteller. Von pietistischen Kreisen anfänglich stark angefeindet und als Liberaler und Rationalist gebrandmarkt, erlangte de Wette später dank seines Einsatzes für die Universität Basel, aber auch dank seiner vermittelnden theologischen Position breite Anerkennung.
Von besonderem Interesse ist die Gestalt de Wettes in ihrer inneren Widersprüchlichkeit, die ihn im Verlaufe der Basler Tätigkeit zu einem «Theologen zwischen den Fronten» (R. Smend) werden liess. Ihm ging der Ruf voraus, politisch einen radikalen Liberalismus zu vertreten und durch seine Bibelkritik theologisch destruktiv zu wirken, so dass die Professoren der Theologischen Fakultät und einige Pfarrer der Stadt seine Wahl an die Universität Basel zu verhindern suchten. Doch äusserte sich de Wette politisch zunehmend konservativ und näherte sich theologisch der gegnerischen Richtung so weit an, dass kritische Kollegen ihm vorwarfen, er passe sich der Orthodoxie an, und sich von ihm abwandten, während er umgekehrt etwa bei Vertretern des Pietismus Achtung fand.
In ihrer spannungsvollen Zweideutigkeit vermag die Theologie de Wettes zu faszinieren als Versuch, im Kontext des «frommen Basel» des 19. Jahrhunderts intellektuelle Redlichkeit und wissenschaftliche Qualität zu verbinden mit christlicher praxis pietatis.